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Antifragilität im Cockpit: So gehen Piloten mit Fehlern um

  • Autorenbild: Kevin
    Kevin
  • 30. Juni
  • 7 Min. Lesezeit

Wie gehen Pilotinnen und Piloten mit Fehlern um und was kannst du daraus für dich selbst mitnehmen?


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“Wer fliegen möchte, muss mit Fehlern richtig umgehen können”

In einem Beruf, in dem jede Entscheidung potenziell schwerwiegende Folgen haben kann, scheint kein Platz für Fehler zu sein. Und doch ist genau das der Alltag von Pilotinnen und Piloten: Sie arbeiten in einem System, das nicht von Perfektion ausgeht. Sondern davon, dass Fehler passieren können und werden.


Kein Flug ist zu 100% “fehlerfrei”.

Was für viele im ersten Moment beunruhigend klingt, ist in Wahrheit beruhigend. Denn die Luftfahrt kalkuliert Fehler bewusst mit ein. Genau deshalb sind viele Systeme und Prozesse so designed und aufgebaut: Fehlerquellen werden nicht ignoriert, sondern von Anfang an mitgedacht.


Jedes Procedure, jede Checkliste, und jedes technische System ist darauf ausgelegt, auch kleinste Abweichungen frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren - lange bevor sie überhaupt sicherheitsrelevant werden könnten. Deshalb werden Piloten so ausgebildet, um in kritischen Situationen ruhig, strukturiert und lernfähig zu bleiben. Denn mentale Stärke bedeutet nicht, perfekt zu sein, sondern in herausfordernden Momenten fokussiert zu bleiben und aus jeder Situation etwas mitzunehmen.


Die Luftfahrtbranche hat Strukturen entwickelt, die weit über klassische Fehlervermeidung hinausgehen. Mit Prinzipien wie Just Culture und Threat and Error Management wird nicht nur auf Fehler reagiert. Sie werden aktiv genutzt, um Systeme und Verhalten kontinuierlich zu verbessern. Dieses Denken passt zu einem Konzept der Systemtheorie: der Antifragilität, wie sie der Forscher Nassim Nicholas Taleb beschreibt. Es beschreibt Systeme, die durch Fehler und Störungen stärker werden. Nicht trotz, sondern wegen der Herausforderungen.


In diesem Artikel zeige ich dir, warum Fehler in der Ausbildung (und im Cockpit) nicht das Ende, sondern oft der Anfang echter Entwicklung sind. Und wie du lernst, sie als Teil deiner Stärke zu nutzen.



Learnings

✅ Fehler sind keine Zeichen der Schwäche - sie sind der Startpunkt für echtes Lernen

✅ Mentale Stärke bedeutet, nach einem Fehler nicht zu blockieren, sondern weiterzufliegen, klar zu kommunizieren und die Situation aktiv zu steuern

✅ Wer aus Fehlern reflektiert lernt, wird antifragil - das braucht es im Cockpit



Fehler gehören zum System und genau deshalb ist die Luftfahrt so sicher

In der Luftfahrt gibt es keinen Zweifel: In unserem Job können Fehler fatale Folgen haben. Ein falscher Handgriff, ein überhörtes Kommando. Wir arbeiten in einer Umgebung, die auf maximale Sicherheit und klare Abläufe ausgelegt ist. Zero tolerance for error – so steht es implizit im Raum.


Doch Fehler passieren, auch in der Luftfahrt. Und das wird sich nie ganz vermeiden lassen. Aber genau hier liegt der entscheidende Punkt, was die Luftfahrt von vielen anderen Branchen unterscheidet: Sie ignoriert Fehler nicht, sondern baut auf Strukturen, die sie frühzeitig erkennen, gezielt korrigieren und systematisch analysieren.

Statt Fehler zu tabuiseren, macht die Luftfahrt sie sichtbar und nutzbar. Jedes kleine Missverständnis im Funk und jede unklare Absprache im Cockpit kann zu einem Lernmoment werden - wenn das System offen dafür ist. Und genau das ist es.


Dafür gibt es klare Konzepte: zum Beispiel das Prinzip der Just Culture. Eine Sicherheitskultur, in der Fehler offen ausgesprochen werden dürfen - und sollen. Es geht darum, eine Kultur des Vertrauens zu schaffen, damit niemand den Anreiz hat, einen Fehler zu vertuschen. Denn aus einem vertuschten Fehler kann niemand lernen.

Oder das Threat and Error Management (TEM), das Piloten systematisch darin schult, potenzielle Risiken frühzeitig zu identifizieren und mit ihnen angemessen umzugehen.


🚦 In der Luftfahrt geht man nicht von perfekten Menschen aus – sondern von robusten Systemen. Sicherheit entsteht nicht allein durch Fehlervermeidung, sondern durch strukturierten Umgang mit dem Unvermeidlichen.



Kein Grund zur Panik: Was mentale Stärke im Cockpit wirklich bedeutet

Mentale Stärke” - ein Begriff, der heute oft als Buzzword missverstanden wird. “Einfach einen kühlen Kopf bewahren”, “Cool bleiben”, “das richtige Mindset”. Gerade in dubiosen Coaching-Kreisen hört man diese Floskeln. Schade, denn gerade im Cockpit ist es von so großer Bedeutung.

Im Cockpit bedeutet mentale Stärke: Handlungsfähig bleiben, auch wenn es kritisch wird.

Ich möchte es anhand eines harmlosen Beispiels aus der Ausbildung aufzeigen: Prüfungsflug. Der Prüfer sitzt neben dir, Stift und Zettel in der Hand. Du fliegst den ersten Anflug und bist zu hoch und zu schnell. Ärgerlich, du musst durchstarten.


Jetzt beginnt das Gedankenkarusell: “Ich habe vorhin schon einen Funkspruch verpasst. Wenn ich den nächsten Anflug auch nicht hinbekomme, falle ich durch. Noch einen Fehler kann ich mir jetzt nicht mehr erlauben!”

Und genau hier wird es gefährlich: Du bist mit deinem Kopf nicht mehr beim Fliegen, sondern bei deinen Fehlern. Du wirst passiv, reaktiv. Und verletzt damit ein zentrales Prinzip der Fliegerei: stay ahead of the aircraft. Denke nicht rückwärts, sondern vorwärts.


Was passiert ist, kannst du nicht mehr ändern - du hast den Anflug verhauen. Abhaken. Was du ändern kannst: wie du jetzt damit umgehst. Deine Haltung und dein Fokus, das liegt in deiner Hand. Ein Prinzip, das schon die alten Stoiker wie Seneca verinnerlicht haben.



Drei typische Denkfallen und wie du sie überwindest

Wenn einem Fehler passieren, gerät man leicht in typische Muster, die einen blockieren. Hier sind drei typische Denkfallen:


1. Du selbst bist dein größter Kritiker

Noch bevor jemand etwas sagt, meldet sich dein innerer Kritiker: „Was ist nur los mit dir?“ Du greifst dich selbst an und verwechselt den Fehler mit deiner Person und deinem gesamten Können. Das passiert besonders oft bei Menschen, die hohe Erwartungen an sich selbst haben. Und dabei unbewusst “perfekt sein” mit “wertvoll sein” verknüpfen. Genau das blockiert Entwicklung. Es ist gut, hohe Ansprüche zu haben. Aber nicht, wenn dich genau dieser Anspruch lähmt.


🎯 Was hilft: Mach einen gedanklichen Cut. Betrachte den Fehler wie einen Datenpunkt, nicht wie ein Urteil über dich. Trenne den Fehler von deiner Person. Was genau ist weshalb passiert – und was kannst du beim nächsten Mal anders machen? Nur so wird Kritik zur Korrektur und nicht zur Blockade.



2. Bloß nicht auffallen: “Hoffentlich merkt das niemand”

Fehler machen vermeintlich angreifbar – gerade in leistungsorientierten Kontexten und unter anderen leistungsorientierten Menschen. Du hoffst einfach, dass es niemand bemerkt hat. Vielleicht ist es ja keinem aufgefallen?


Dieses Denken ist nachvollziehbar, aber gefährlich. Wenn du Fehler “wegdrückst”, passiert genau das Gegenteil von Lernen. Und dieses Unsichtbar-Machen kann langfristig zum Risiko werden.


Viele machen diese Erfahrung: Man schweigt aus Unsicherheit. Aus Angst, sich bloßzustellen oder negativ aufzufallen. Aber das Problem ist: Wenn du nicht zu deinen Fehler stehst, kannst du dich auch nicht verbessern.


🧭 Was hilft: Mach dir klar: Es geht nicht um Fehlervermeidung, sondern um Entwicklung. Sprich es an. “Own your mistake” ist kein Schuldeingeständnis, sondern ein Zeichen der eigenen Lernbereitschaft.



3. Abhaken, ohne zu reflektieren

Ein Fehler passiert und du fühlst dich mies - also stürzt du dich direkt in die nächste Aufgabe. Hauptsache, das unangenehme Gefühl ist schnell weg. Doch dabei vergisst du das Wichtigste: Die bewusste Auseinandersetzung mit dem Fehler. Ohne diesen Schritt fehlt der Lerneffekt und damit die Chance, aus dem Fehler echte Fortschritte zu machen. Oder wie Thomas Edison einmal sinngemäß sagte: “Ich bin nicht gescheitert - ich kenne jetzt tausend Wege, die nicht funktionieren.”


🛠 Was hilft: Drück mental auf Pause. Auch während eines Fluges können Piloten in ein Holding Pattern – eine Warteschleife, in der Piloten Zeit gewinnen, um neu zu planen. Übertrage das auf dich selbst: kurz sortieren, analysieren, und bewusst den nächsten Schritt setzen.



Warum dein Gehirn Fehler braucht

Das menschliche Gehirn ist darauf ausgelegt, Muster zu erkennen und Vorhersagen zu treffen. Es vergleicht ständig, was es erwartet, mit dem, was tatsächlich passiert. Beispiel: Bevor du einen Stift fallen lässt, weißt du, dass er auf den Boden fallen wird. Du weißt das, weil du es schon etliche Male gesehen hast.


Solange alles wie erwartet läuft, bleibt das System ruhig. Doch wenn die Realität von der Erwartung abweicht, entsteht ein sogenannter Prediction Error – und genau das ist der Moment, in dem Lernen passiert. Es merkt: Hier stimmt etwas nicht und beginnt, neue Informationen zu integrieren.


Ein besseres Beispiel aus der Schulzeit: Du lernst den Lösungsweg einer Matheaufgabe nicht, indem du dir nur stumpf die Musterlösung anschaust. Du lernst, indem du dich mit Fehlern zur Lösung durchkämpfst.


Übertragen auf die Fliegerei bedeutet das: Jeder Fehler ist eine Einladung zur Anpassung. Fehler sind biologische Lernsignale. Genau deshalb gibt es in der Ausbildung nach jedem Flug ein strukturiertes Debriefing: Was lief gut? Was lieft nicht wie geplant? Und was nehmen wir fürs nächste Mal mit?


🔄 Der stärkste Lernreiz entsteht durch Überraschung. Und die entsteht fast immer dort, wo du einen Fehler machst.


Wenn dich das Thema interessiert: Am besten einfach “Prediction Error” googlen. Ein spannendes Konzept aus der Kognitionsforschung, das erklärt, warum wir aus Fehlern am besten lernen.



Resilient? Reicht nicht. Warum du antifragil sein solltest

Wenn es um Rückschläge geht, ist of von Resilienz die Rede. Und das ist auch ein guter Anfang. Resilienz bedeutet: widerstandsfähig sein. Sich nach einer Belastung wieder erholen zu können.


Ein gutes Sinnbild dafür ist das Gummiband: Es dehnt sich unter Spannung und kehrt danach in seine ursprüngliche Form zurück. Die Belastung wird kompensiert und das System bleibt, wie es war.

Doch im Cockpit – und ganz besonders in der Ausbildung – reicht das oft nicht aus. Denn wer immer nur „zurückspringt“, bleibt im alten Muster.


Hier kommt ein stärkeres Konzept in Spiel: Antifragilität geht einen Schritt weiter. Der Begriff stammt vom Risikoforscher Nassim Nicholas Taleb und beschreibt Systeme, die nicht nur überstehen, sondern besser werden, wenn sie gestresst, gefordert oder erschüttert werden.


💬 Antifragil ist, wer durch Störungen adaptiver, klarer und strukturierter wird – nicht trotz, sondern wegen des Fehlers.


Ein treffendes Bild dafür ist Muskeltraining: Gezielte Überlastung erzeugt Mikroverletzungen im Muskel, die der Körper repariert – und dabei stärker wird als zuvor. Belastung ist hier kein Risiko, sondern ein Wachstumsreiz.


In der Fliegerei ist das Prinzip längst Alltag – auch wenn es nicht so heißt: Simulator Sessions, regelmäßige Schulungen und Debriefings – all das sind Situationen, aus denen Pilot:innen stärker als zuvor rausgehen sollen.


📌 Deshalb ist das Ziel in der Ausbildung nicht Fehlerfreiheit – sondern die Fähigkeit, durch Fehler besser zu werden.



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Fazit: Fehlerfrei gibt es nicht – souverän schon

Pilotinnen und Piloten werden nicht auf Perfektion trainiert. Sondern auf Struktur, richtige Reaktion und reflektiertes Handeln. Fehler passieren. Entscheidend ist, wie du damit umgehst.


Die Luftfahrt macht das vor: Sie kalkuliert menschliche Fehler bewusst mit ein und entwickelt Systeme, um sie aufzufangen und analysieren zu können.


Genauso kannst du auch mit dir selbst umgehen: Du wirst Fehler machen. Die Frage ist: Erkennst du sie und nutzt du sie für dich?


Antifragilität bedeutet: Du wirst nicht schwächer durch Rückschläge, sondern stärker. Genau das macht dich zu jemanden, der mit Druck, Veränderung und Unsicherheit souverän umgeht.



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